Ein fertiges Hinterglasbild von hinten

Das gleiche Bild von vorn

Die Tuschkonturen werden Farbe für Farbe "ausgefüllt"

Jede Farbschicht muss gut trocknen vor der Nächsten

Was ist Hinterglasmalerei?

Gemalt wird direkt auf das Glas, mit Acryl- oder Kunstharzfarbe. Betrachten tut man das Bild aber durch das Glas hindurch (darum "Hinterglas"). Die Glasscheibe zwischen Malerei und Betrachter verleiht den Farben unübertreffliche Leuchtkraft und dem Bild Tiefe. Aber: man muss den Vordergrund zuerst, den Hintegrund zuletzt malen. Und alles spiegelverkehrt. Knifflig!

Das Malen auf Glas ist eine seit Jahrhunderten bekannte Technik. In Europa besonders bekannt sind Hinterglasmalereien aus Osteuropa und dem Balkan, aus Österreich, der Innerschweiz; es gibt sie aber auch in Indien und Indonesien und – seit etwa einem Jahrhundert – im Senegal, unseres Wissens als einziges Land in Südsahara-Afrika. Glas ist seit langem nämlich – im Gegensatz etwa zu Leinwand oder Holz – ein billiges Material, das sich aus mehreren Gründen ausgezeichnet als Träger eignet, trotz seines offensichtlichsten Fehlers: seiner Brüchigkeit. Hinter der Trägerscheibe erstrahlen alle Farben in unnachahmlicher Brillanz, auch erhält das Bild durch die Dicke des Glases eine perspektivische Tiefenwirkung. Und schliesslich wohnt gerade der Zerbrechlichkeit, der Vergänglichkeit, ein Reiz inne, der dem Glasbild Leben einhaucht, ähnlich einer Blume.

Erkauft werden Farbkraft und Tiefenwirkung durch eine Maltechnik, die ihre Tücken hat. Weil das Bild ja nicht von der gleichen Seite her betrachtet wird, von der her man malt, muss dabei der ganze Vorgang umgekehrt abrollen. Das heisst, nicht nur kommt alles spiegelverkehrt heraus (Schriften!), sondern auch der Vordergrund muss zuerst, der Hintergrund am Schluss gemalt werden. Fehler kann man also nicht übermalen, da die Übermalung ja „hinter“ den Fehler zu liegen käme. Die einzige Korrekturmöglichkeit besteht im Abkratzen, das aber nur gelingt, wenn die fehlerhafte Farbschicht als erste direkt auf dem Glas liegt.

Freihändig so zu malen gelingt nur den allergeschicktesten (Cissé, Paco). Die grosse Mehrheit der Hinterglas-Maler benutzt Schablonen und arbeitet mit Konturen, die sie meistens mit Tuschfedern direkt auf das Glas zeichnen. Diese Konturen werden dann schichtweise mit Acryl- oder Kunstharzfarbe ausgefüllt und ergänzt. Für liebevolle Details, Abwandlungen und Variationen bleibt trotz Schablone viel Raum, ganz abgesehen davon, dass schon beim Zeichnen der Konturen jedes Bild seinen ganz eigenen Ausdruck bekommt. Bei einigen kleinen Porträts lässt sich dies sehr gut erkennen. Zum Schluss wird das fertige Bild mit Papier-Klebestreifen auf ein gleich grosses Stück Wellpappe geklebt, die das Glas stabilisiert und polstert und auch gleich den Aufhänger trägt. Die Klebstreifen geben gleichzeitig einen Rahmen ab und schützen die Hand vor Schnitten an der Glaskante. Die Farben scheinen auch vor einer Lichtquelle nicht durch (deckende Farben), ihre Leuchtkraft erhalten sie durch das Glas von vorn.

Die Bilder sind vor allem in Dakar, zum Teil auch in Provinzstädten im Strassenverkauf und Markt feil. Die Maler brauchen für ihre Ateliers relativ viel Platz, denn die einzelnen Farbschichten müssen immer wieder trocknen, weshalb man meist mehrere Bilder gleichzeitig in Arbeit hat. Darum sind es Zwischenhändler, die an geeigneten Strassen mit höhern Mauern oder in kleinen Lädchen richtige Openair-Galerien betreiben, manchenorts über mehrere hundert Meter. Die Künstler selbst sind also nur selten bei ihren Werken im Verkauf zu finden. Da nicht alle Bilder signiert sind, kann man die Zahl der Maler nur schätzen: es dürfte im Senegal zur Zeit rund 60 – fast ausschliesslich männliche – Hinterglasmaler geben.

Warum ausgerechnet im Senegal die Hinterglasmalerei seit rund hundert Jahren zur Volkskunst geworden ist, muss Gegenstand weitergehender Forschungen bleiben. Es fällt jedoch auf, dass das Land am westlichsten Zipfel von Afrika weniger für seine traditionellen Masken und Fetisch-Statuen berühmt ist, hingegen vor allem seit der Unabhängigkeit (1960) sich zum eigentlichen Zentrum eines modernen Verständnisses von bildender Kunst in Afrika entwickelt hat. Kunst als Selbstzweck existierte im traditionellen Afrika nämlich kaum, fast immer war sie Mittel zum Zweck. Im Senegal sind in den letzten Jahrzehnten jedoch Künstler von Weltrang – wie z.B. der Bildhauer Ousmane Sow – herangewachsen, und die Hauptstadt Dakar führt seit 1994 alle zwei Jahre die grosse und sehr interessante panafrikanische Kunstmesse Dak’Art durch.

Die Hinterglasmaler siedeln sich allerdings (im bessern Fall) nicht bei der „grossen Kunst“ an. Versuche in Richtung „modern“ oder gar „experimentell“ gibt es viele, aber die wenigsten gelingen. Deshalb sind nur einige wenige solcher Beispiele zu sehen. Das Gros der Hinterglasmaler versteht sich selbst vielmehr als Populärkünstler, näher bei den Beatles als bei Beethoven und durchaus vergleichbar mit Comics in den Industrieländern. Ihr Metier ist der Kommentar des Alltags. Schöne Frauen und religiöse Führer, das Familienleben, Eheszenen und Kinderidylle, die allgegenwärtige Musik, Karikatur und Spott, aber auch Kolonialkämpfe und Sklaverei, das Berufsleben in all seinen Facetten und die Sehnsucht nach dem Landleben der guten alten Zeit, (die auch in Afrika endgültig um ist,) bieten ein vielschichtiges Portrait weit über gelegentlich auch hier reproduzierte Clichés hinaus. Ein Bild voller Farbe und Liebenswürdigkeit, von Würde überhaupt – und ein Bild vor allem, wie es Afrika von sich selbst zeichnet, und damit sicher relevanter als das, was uns westliche Medien vom „schwarzen Kontinent“ kolportieren.